Sonntag, 17. Mai 2015

Erbschaftssteuer: Ja oder Nein?

Pro & Kontra: Die nationale Erbschaftssteuer, über die am 14. Juni abgestimmt wird, spaltet die Schweiz. Befürwortern ist sie ein Gebot der Solidarität, Gegnern ein gefährlicher Eingriff in die kantonale Souveränität. 

 

Pro: Wenn Sie mit eigenen Augen sehen wollen, wohin unser Land fiskalpolitisch steuert, dann stellen Sie sich abends in Zürich an eine Ausfallstrasse Richtung A 3 – und beobachten den Berufsverkehr: Der geneigte Leser wird den feudalen Wagenpark bemerken. Folgen wir den vielen Schwyzer Autokennzeichen den Zürichsee entlang nach Wollerau, Freienbach und Feusisberg. Hier in Ausserschwyz findet sich mit 20 Prozent schweizweit eine der höchsten Millionärsdichten. Und hier soll das Märchen, dass Reiche schon genug besteuert werden, exemplarisch für die ganze Schweiz begraben werden.


Einer dieser Superreichen machte unlängst eine entlarvende Aussage: «Meine Steuerrechnung ist in gewissen Jahren höher als mein Einkommen.» Als Habenichts staunt man, denn die wenigsten von uns verstehen die Möglichkeiten der Steueroptimierung in dieser Einkommensklasse. Vermögende Firmeninhaber lassen sich von ihrer eigenen AG nur einen relativ bescheidenen Lohn auszahlen, so bleibt umso mehr Geld in der Firma, um Dividenden auszuschütten. Dem früheren freisinnigen Finanzminister Hans-Rudolf Merz verdanken wir die Unternehmenssteuerreform II, deren Kernstück die Dividendenbesteuerung ist. Wer mindestens 10 Prozent einer Kapitalgesellschaft besitzt, bekommt vom Bund einen Steuerrabatt von 40 Prozent auf Dividenden. Auf Kantonsebene gab es in Schwyz bis zum Jahr 2014 gar rekordhohe 75 Prozent (auf Druck des Verwaltungsgerichts mittlerweile auf 50 Prozent reduziert). So werden 100'000 Franken Dividenden zum Tarif von 25'000 Franken besteuert – also zum gleich tiefen Steuersatz wie das Einkommen einer Familie, die am Rande des Existenzminimums lebt. 

2009 konnten 1500 Schwyzer rund 1,8 Milliarden Franken zum Dumpingsatz versteuern. Schweizweit führt das Dividendenprivileg nicht nur zu jährlichen Steuerausfällen von 400 bis 600 Millionen Franken, sondern laut kantonalen Ausgleichskassen zu mehreren Hundert Millionen Franken Ausfällen bei der AHV. Denn auf Dividenden werden keine Sozialabgaben gezahlt.

Noch privilegierter sind Kapitalgewinne: Sie werden überhaupt nicht besteuert. Ein Investor, der sich an einem Unternehmen beteiligt und es später gewinnbringend veräussert, muss keinen Rappen Einkommenssteuern zahlen. Gemäss Bund werden Kapitalgewinne in der Höhe von rund 3,5 Milliarden Franken nicht besteuert. Und selbst als Hausbesitzer können Reiche die Steuerlast minimieren. In Schwyz gibt es keine Liegenschaftssteuer, gleichzeitig werden die Immobilien politisch gewollt viel zu tief bewertet. Letztmals wurden sie 2007 rückwirkend auf 2004 neu geschätzt. Bis heute blieben diese Steuerwerte gleich, obwohl sich die Preise verdoppelt haben. Wer also heute in Wollerau ein zehnjähriges Haus zum aktuellen Verkehrswert von 5 Millionen Franken kauft, muss für die mit 2,5 Millionen geschätzte Liegenschaft noch 2500 Franken Vermögenssteuer bezahlen. 

Man könnte jetzt ins Feld führen, dass dies nur in Steueroasen möglich sei. Ein Irrtum. Im Prinzip gelten diese Privilegien überall in der Schweiz, egal ob in Zürich, Bern, Delsberg oder im Toggenburg. Aber die bürgerlich dominierte Zentralschweiz gibt den Takt in der Schweizer Steuerpolitik an. Mit der Unternehmenssteuerreform III ist die nächste gigantische Steuersenkung aufgegleist. Im Grundsatz werden die Kantone gezwungen sein, ihre Unternehmensgewinnsteuern zu halbieren – und zwar auf das heutige Niveau von Schwyz oder Zug. Die Erbschaftssteuer ist der richtige Weg, um der «Schwyzerisierung» oder «Zugerisierung» der Schweiz wenigstens ein bisschen entgegenzusteuern. Kein Service sans Public!

Kontra: In der Schweiz hat jeder Kanton sein eigenes, historisch gewachsenes Steuergefüge. So hat der Kanton Waadt die moderate Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen nie abgeschafft. Für die Linken ist die Waadt damit ein Vorbild. Noch vor einem halben Jahr, als die Schweiz über die Abschaffung der Pauschalbesteuerung debattierte, klang es ganz anders. Finanzdirektor Pascal Broulis musste sich mächtig für die steuerliche Privilegierung reicher Ausländer rechtfertigen. In der Waadt schont man also die reichen Ausländer bei der Einkommens- und Vermögenssteuer, dafür bittet man sie beim Erben zur Kasse. Das Beispiel zeigt, wie wenig angebracht es ist, dass der Bund in die Steuerhoheit der Kantone eingreift. Mit der Initiative für die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer würde man den Kantonen Steuersubstrat und damit potenzielle Einnahmen entziehen.

Für Leute, die wenig vom Föderalismus halten, mag dies ein Totschlagargument sein, um der Diskussion über die Vorteile der Erbschaftssteuer auszuweichen. Tatsächlich gilt die Steuer als ökonomisch effizient: Sie dämpft weder den Arbeitsanreiz wie die Einkommenssteuer noch die Sparanreize wie die Vermögenssteuer. Dennoch ist von Bedeutung, wie sich eine nationale Erbschaftssteuer in das Gesamtsystem einfügen würde. Dabei ist eine Schweizer Besonderheit zu beachten: Die Kantone erheben eine Vermögenssteuer (die notabene durchaus als Erbschaftssteuer in Tranchen bezeichnet werden kann). 

Diese steht quer in der Landschaft, weil man besser Einkommen als Substanz versteuert. Selbst Hans Kissling, der Vater der Erbschaftssteuerinitiative, räumte in seinem Buch «Reichtum ohne Leistung» ein, dass sich mit einer wirksamen Erbschafts- und Schenkungssteuer gar die totale Abschaffung der Vermögenssteuer rechtfertigen liesse: «Die selbst erwirtschafteten Vermögen, für deren Entstehen ja bereits Einkommenssteuern bezahlt wurden, würden dann nicht noch einmal belastet.» Wer also an der Erbschaftssteuer herumschrauben will, setzt besser in den Kantonen an, weil man dann auch gleich die Vermögenssteuer reformieren kann.

Die Initiative wurde so konstruiert, dass sie möglichst mehrheitsfähig ist. Wegen des Freibetrags von 2 Millionen Franken wären nur 2 Prozent der Bevölkerung betroffen. Um dem Fiskus dennoch die nötigen Einnahmen zu bringen, wurde ein hoher Steuersatz von 20 Prozent gewählt. Allerdings ist es fragwürdig, wenn eine nicht betroffene Mehrheit einer kleinen Minderheit solch eine Steuer auferlegen würde. Zudem wird die Steuer so für Familienbetriebe zur Bedrohung. Das wissen auch die Initianten: Erleichterungen für Unternehmen sind vorgesehen, um keine Arbeitsplätze zu gefährden. Man kann davon ausgehen, dass das Parlament diesen Spielraum bei der Umsetzung ausnützen würde. Diese Privilegierung ist aber auch problematisch. Erstens, weil ein Anreiz gesetzt wird, dass Firmen während der geforderten zehn Jahre weitergeführt werden, obschon es ökonomisch wenig Sinn ergibt. Zweitens werden neue Ungerechtigkeiten geschaffen zwischen Wertschriften-Erben und Firmen-Erben – wie ein Blick nach Deutschland zeigt. 

Wer glaubt, die Reichen in der Schweiz werden übermässig geschont, dem sei die starke Steuerprogression in Erinnerung gerufen. Und eine Aussage von Samuel Tanner, SP-Mitglied und bis vor kurzem die Nummer zwei in der Eidgenössischen Steuerverwaltung: «Die Schweiz gehört nicht zu den Ländern, die sich auf dem Buckel der Armen und des Mittelstands finanzieren. Wir haben ein Höchstmass an Solidarität.»

Quelle: Tages-Anzeiger 15.5.15

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